Ich bin 1984 in Wien geboren und habe meine Jugend hinter meterhohen Mauern eines Wiener Privatinternats, zwar behütet aber im goldenen Käfig, verbracht. Die große Stadt außerhalb der Mauern übte naturgemäß eine große Faszination auf mich aus. Vor allem jene Strömungen, die nicht den Mainstream besiedelten, die abseits davon ihr Dasein fristeten und andere Codes zur Kommunikation benutzten, zogen mich magisch an.

 

Mit dem Studium der Stadtentwicklung  und einem Fokus auf öffentlichen Raum, kam ich immer öfter mit Stellen in der Stadt in Berührung, an denen diese bottom-up Bewegungen sichtbar, erfahrbar und spürbar waren: Sei es der graffitibesprühte Donaukanal, der konsumfreie und politisch aufgeladene Raum rund um den Teich am Karlsplatz, oder seien es von StädterInnen selbst ausgetretene Trampelpfade. Als ich mich dann mehr und mehr mit dem Image von Städten auseinanderzusetzen begann, entdeckte ich, dass jede Stadt ihre eigene, kollektive Identität besitzt, die das Wesen einer Stadt ausmacht: Jede Stadt verfügt über eine charakteristische und spezifische Atmosphäre, Lebens- und Verhaltensweise, die von den BewohnerInnen und der Kultur der Stadt geprägt sind.

 

Irgendwann im Jahr 2012 stellte ich fest, dass die immer wieder aufs Neue überkleisterten Plakatflächen - im Gegensatz zu den offiziell gemieteten Plakatwänden für die Mainstream-Werbung - für mich ein direktes Mittel darstellen, um mit dieser kollektiven Identität einer Stadt in Berührung zu kommen und sie näher zu erfahren. Diese heiß umkämpften und lebendigen Territorien, die sich laufend weiterentwickeln, geben ein spannendes Spiegelbild von der Art und Weise ab, wie Menschen in der Stadt leben, wie sie kommunizieren, wie sie sich verhalten und was sie antreibt.

 

In der Serie „Ragtag – Contemporary Witness“ tauche ich nicht nur in diese kollektive Identität von Städten ab, sondern spiele mit ihr, indem ich Fragmente von Affichen aus dem öffentlichen Raum verschiedener Städte und ihrer Viertel miteinander kombiniere und wieder zerstöre. So erschaffe ich nicht reproduzierbare, visuelle Momente, die nie in dieser Form auf den Straßen unserer Städten existiert haben. Es entstehen Werke, die Ausdruck, hybrider und fiktiver Identitäten von Städten sind. Die Serie „Ragtag – Contemporary Witness“ stellt somit eine Reise in unterschiedliche Städte dar, ohne dass man als BetrachterIn selbst auf Reisen gehen muss.

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Valentin Freygeist, Wien, 2024